Meine Nacht im „Hotel Playa del Inglés“ war kurz und fies. Das Zimmer ist eigentlich groß und schön, fast schon eine kleine Wohnung. Aber bis in die frühen Morgenstunden wurde ich mit lauter Musik beschallt. Als ich um 8h starte bin ich mit den Nerven ziemlich am Ende. So ungemütlich hatte ich mir meine Heimreise nicht vorgestellt. Auf der Autobahn zeigt der Bordcomputer zunächst nur 18,5°C an. Es ist etwas frisch aber der Calima schickt sich an heimlich zu verschwinden und während mich die Strahlen der Morgensonne wärmen beginnt ein schöner Sommertag. Eigentlich ist es ja ein Wintertag, schließlich haben wir Mitte November, aber auf den Kanaren ist eben alles ein wenig anders. Als ich in Las Palmas eintreffe sind es schon wieder 25°C.
Bei BMW Marmotor werde ich schon von meiner Ansprechpartnerin Ana erwartet. Sie ist supernett und fragt wie es auf Lanzarote und Fuerteventura war. Sie möchte wissen wie meine Reise weitergeht, es ist schön mit ihr ein wenig Smalltalk zu halten. Als ich von meinem Hotelabenteuer des Vorabends erzähle, schaut sie zunächst ein wenig ungläubig und fragt mich dann warum ich sie nicht angerufen hätte, bei ihr daheim gäbe es doch ein Gästezimmer. Ok ok, ich hätte ja angerufen, aber ich habe keine Telefonnummer und irgendwie ist es mir auch lieber in einem Hotel als bei fast fremden Menschen zu übernachten.
Vor vier Wochen haben schwere Unwetter Gran Canaria heimgesucht. Bei meinem letzten Besuch bei Marmotor habe ich eine grausam zugerichtete noch fast neue BMW R1200RT gesehen. Nun steht ein identisches Motorrad vor der Werkstatt. Zunächst denke ich es sei die inzwischen reparierte Maschine, aber diese RT ist noch nagelneu.
Nach etwa 90 Minuten ist der defekte Reifendrucksensor im Vorderrad montiert, ich bezahle 45,- Euro und könnte jetzt eigentlich weiterfahren. Aber, seit die Mechaniker vor vier Wochen die neuen Reifen montiert und am Fahrwerk meiner K1200 herumgewerkelt haben, ist das unglaublich gute Fahrverhalten meines Motorrades so schlecht wie nie zuvor. Fährt man auf einer perfekt asphaltierten Straße zwischen 20 und 60 km/h, so fühlt es sich an als würde man in einer einzigen langen Spurrille fahren. Es ist als würden unsichtbare Kräfte am Lenker ziehen und es ist mir kaum möglich wirklich exakt geradeaus zu fahren. Wird man schneller als 80 km/h merkt man es nicht mehr, aber auch in langsamen engen Kurven ziehen unsichtbare Hände hinterhältig am Lenker.
Ich hatte Ana sehr inständig und eindrücklich darum gebeten, dass einer der Monteure eine Probefahrt macht um zu schauen was falsch justiert ist. Doch der Monteur findet das Fahrverhalten völlig normal. Mich macht der Gedanke daran mit diesem Motorrad die nächsten 10.000 Kilometer fahren zu müssen regelrecht krank. Es fühlt sich einfach nicht mehr wie mein Motorrad an und während der letzten vier Wochen hatte ich die Hoffnung, dass sich das Problem bei der heutigen Reparatur in Luft auflösen würde. Aber die Monteure halten mich scheinbar für verrückt und sagen Ana, es läge wohl daran, dass die Reifen neu wären und ich immer mit so viel Gepäck unterwegs wäre.
Was soll ich noch machen? Ich habe mir extra von der Bonner BMW Niederlassung einen Ansprechpartner auf den Kanaren geben lassen, habe hier fast 900, Euro für eine Inspektion, Ölwechsel und neue Reifen bezahlt und muss jetzt mit einem vermurksten Motorrad von Teneriffa zurück nach Deutschland fahren?
Aber Ana zuckt nur mit den Schultern. „That’s normal…“ Ich bleibe freundlich und mache mich auf den Weg zum Puerto de las Nieves. „That’s normal“ geht es mir im Kopf herum und ich muss an die Gespräche mit deutschen Urlaubern und deutschen Residenten denken die alle der Meinung waren, dass es auf den Kanaren keine wirklich guten Auto- oder Motorradwerkstätten gibt. Vielleicht stimmt es und vielleicht ist das der Grund warum einer der großen Anbieter von Mietmotorrädern auf Teneriffa, alle Maschinen nach der Saison mit einem Container nach Deutschland transportieren lässt? Vielleicht hatte der Chef der kleinen Motorradvermietung in Maspalomas recht als er mir erst vor ein paar Tagen sagte „The BMW Service in Las Palmas is bäähh…“?
Auf dem Weg zum Puerto de las Nieves fühle ich mich schon fast paranoid als ich mich dabei ertappe, dass ich mich mehr auf das Fahrverhalten meines Motorrades konzentriere als auf den Verkehr.
Im Puerto de las Nieves angekommen steht mitten auf der Zufahrtsstraße ein Fahrzeug der Guardia Civil. „Huch das sind ja die bösen Polizisten, die frühere Geheimpolizei von General Francisco Franco!!“ zuckt es mir durch das Hirn. General Franco war ein Diktator der mit Adolf Hitler auf Augenhöhe gespielt hat und sich bis 1975 halten konnte. Es sieht aus als würden die Polizisten mit Passanten Smalltalk halten. Links daneben sind mehrere lange Streifen in denen einige Fahrzeuge auf die nächste Fähre zu warten scheinen. Sie stehen in lockerer Folge und es ist reichlich Platz dazwischen. Weil die Polizei die Zufahrtsstraße blockiert mache ich einen kleinen Schlenker nach links und fahre zwischen den Autos hindurch bis vor das Büro der Fährgesellschaft FRED OLSEN. Hier muss ich eh kurz einchecken, Tickets gibt es bei FRED OLSEN ja nicht mehr.
Als ich vom Motorrad steige sehe ich aus dem Augenwinkel wie einer der Polizisten mit der rechten Hand an der Waffe im Laufschritt auf mich zukommt, etwas ruft und wild mit dem linken Arm in der Luft herumfuchtelt. „Was will er?“ denke ich und gehe langsam auf ihn zu während ich versuche meinen Helm vom Kopf zu nehmen. Als er direkt vor mir steht sehe ich in ein grimmiges Gesicht, er ist wütend und schnauzt mich auf spanisch an. „Gar nicht gut, gar nicht gut…“ denke ich und fummle mir meine kleinen roten Gehörschutzstöpsel aus den Ohren. „Hola, buenos días! Now I can understand you!“ sage ich freundlich und bin erleichtert als er die Hand von der Waffe nimmt und sich seine Gesichtszüge lichten. Scheinbar hatte er mir etwas hinterhergerufen, dass ich nicht einfach wegfahren soll oder so? Wie es aussieht habe ich versehentlich eine Polizeikontrolle umfahren und das nur wenige Stunden nach den Attentaten von Paris.
Der Polizist fragt mich auf Englisch ob ich mit der Fähre nach Teneriffa möchte. Ich erkläre ihm, dass ich im Gebäude dort hinter meinem Motorrad einchecken will. Er wird ganz freundlich und sagt mir, dass ich erst um das Gebäude herumfahren soll um direkt vor der Fähre zu parken. Danach soll ich zurückkommen um einzuchecken. Alles klar, alles nur ein Versehen. Ich verabschiede mich, setze den Helm wieder auf und fahre auf den zweiten großen Parkplatz, wo ich gleich bei der Fähre parken kann.
Nachdem ich eingecheckt habe gibt es im kleinen Cafe neben dem FRED OLSEN Büro noch etwas zu Essen. Die Fähre legt wie gewohnt pünktlich ab, ich bin wieder der einzige Motorradfahrer und mein Motorrad wird auch hier von einem sehr netten Mitarbeiter akribisch gesichert.
Als die Fähre ausläuft bin ich überglücklich alles geschafft zu haben. Ich lasse mir ein kleines Bierchen schmecken und freue mich darauf Christine, Melanie, Mira und Jo auf der Finca San Juan schon bald wiederzusehen.
Auf der Finca werde ich allerdings gar nicht erwartet. Meine E-Mail hatte ich erst bei BMW Marmotor geschrieben und es hat sie noch niemand gefunden. Aber ich habe Glück und bekomme das letzte freie Zimmer.
Kurz bevor es dunkel wird schwinge ich mich noch schnell auf mein Motorrad um eine größere Ladung Pfefferminzbonbons auszuliefern die ich seit vier Wochen im Gepäck habe. Mein Freund Wolfgang mag sie sehr gern und hatte sie bei meiner Freundin Sandra bestellt noch bevor sie mich auf Gran Canaria besucht hat. Diese BonBons sind jetzt weit gereist und ich froh sie endlich übergeben zu können.
Später am Abend bekomme ich noch ein leckeres Abendessen, es gibt ein Steak in einer speziellen Senfkruste. Dazu Brokkoli und Country-Potatoes, es ist sowas von lecker!
So geht mein Inselhopping zu Ende. Vier Inseln in zwei Tagen, das ist mein persönlicher Rekord. In den kommenden Tagen muss ich mich um einen Flug nach Deutschland kümmern und mein Motorrad bei einer kleinen Autowerkstatt unterstellen, deren Besitzer Dennis Dreisörner ich im August auf der Finca San Juan kennengelernt habe. Sobald das erledigt ist, kann ich mein großes Motorradabenteuer unterbrechen und für ein paar Wochen nach Deutschland fliegen. Sobald das akute Heimweh bei allen Beteiligten abgeklungen ist, kann es im März wieder weitergehen mit „100 Days of Freedom“. Mit etwas Glück schaffe ich es noch auf „200 Days of Freedom“, schauen wir mal….
Hallo Ansgar, vielen Dank für deine Blogbeiträge der letzten 135 Tage. Auch heute hatte ich das Gefühl, fast ein bisschen dabei zu sein. Ich fühlte mit Dir und als Motorradfahrer (allerdings Chopper, aber keine Harley!) und fotobegeisteter und ursprünglicher Bremer in der Schweiz. Ich habe Deine Berichte verschlungen und bei Deinen Fotos hatte ich immer wieder etwas „Neid“ empfunden. Also genau das Richtige zum Lernen und selbermachen.
Danke und noch gute Heimreise,
Frank
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