Tag 74 – Zu Besuch beim El Sabinar

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Der Wacholderwald El Sabinar ist das Wahrzeichen von El Hierro. Auf Teneriffa ist es der Pico del Teide, auf Gran Canaria der Roque Nublo, auf La Palma die Caldera de Taburiente, hier ist es ein uralter Wacholderbaum. Diesen Baum habe ich in den letzten Tagen einfach überall gesehen. Auf Servietten, Postkarten, Tischdecken, er ist allgegenwärtig. Meine Freunde Alberto und Montse wollen mich heute bei einem kleinen Ausflug zum Wacholderwald begleiten. Weil ich auf keinen Fall zu spät sein will, ist mein Wecker auf 7:30 gestellt. Alles läuft prima und ich treffe pünktlich um 10:00 Uhr ein. Die beiden sind auch schon startklar und so geht es gleich los. Zunächst zeigt Alberto mir noch einen sehr coolen Aussichtspunkt ganz in der Nähe, danach geht es eine extrem kurvenreiche Straße hoch oben über dem Meer an der Steilküste entlang.

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Als wir eine einsame kleine Kirche erreichen hört kurz darauf der Asphalt auf. Wir parken unsere Motorräder und nun geht es etwa eine Stunde lang zu Fuß weiter. Der Weg ist für Autos sehr gut befahrbar, aber mit unseren Motorrädern könnte es schwierig werden. Der größte Teil der Strecke wäre recht gut befahrbar aber Alberto war eine Weile nicht hier und bei seinem letzten Besuch war ein Teil nur schwierig und mit einem Motorrad gar nicht passierbar. Weil wir mit unseren schweren Motorrädern gefährliche Situationen vermeiden wollen, gehen wir lieber zu Fuß.

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Die Sonne scheint und es ist ein richtig schöner heißer Sommertag. Zuletzt standen 28°C auf dem Thermometer. In meiner robusten Motorrad-Lederhose wird es mir daher sehr schnell sehr warm und ich beginne irgendwann zu laufen wie eine hochschwangere Frau. Der Grund ist einfach, die Hose klebt an den verschwitzten Beinen und ich komme nur vorwärts indem ich das Becken mal links und mal rechts vorwärts schiebe.

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Als wir bei den Wacholderbäumen eintreffen bin ich fix und fertig, aber es gibt jetzt einen Schluck Wasser und ich kann mich etwas erholen. Eine Weile schauen wir uns diese extrem skurrilen Bäume an. Leider haben Fischer in den vergangenen Jahrhunderten viele dieser Bäume gefällt um das teils abenteuerlich gebogene Holz für den Bug ihrer Schiffe zu verwenden, sofern es bereits die richtige Form hatte.

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Aber es stehen doch noch einige dieser ungewöhnlichen Bäume hier. Damit der schönste von allen nicht von Touristen zertrampelt wird, hat man ihn eingezäunt. Als wir dort ankommen entfährt mir ein entsetztes „There is a fence!!“ (Da ist ein Zaun!) Alberto versteht sofort warum mir das herausgerutscht ist und sagt ganz spontan „You can remove that with Photoshop!“. Eigentlich mache ich sowas nicht gern, aber hier wird es wohl nicht anders gehen. Ich versuche mich an einigen unterschiedlichen Perspektiven und entscheide mich schließlich diesen Baum so zu fotografieren, dass man einen seiner Kumpels um Hintergrund unter dem gebogenen Stamm sehen kann.

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Hier müsste ich man mal nachts hinkommen. Mit ein wenig schummrigem Licht und ein paar Sternen im Hintergrund wäre das sicher der Hit. Aber die einsame Straße und danach die lange Schottenpiste in der Dunkelheit allein mit meinem Motorrad fahren, das klingt mir nach zuviel Einsatz für ein paar Fotos die letztlich nur jeweils eines von vielen sein würden. Diese Location besucht einfach jeder Tourist wenn er schon mal auf El Hierro ist.

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Als wir wieder bei den Motorrädern sind schauen wir uns noch kurz die kleine Kirche an. Es gibt etwas Schatten und eine Toilette mit fließendem kalten klaren Wasser, ich bin so dankbar. Auf dem Rückweg steckt mir die Wanderung ziemlich in den Knochen und ich bin etwas unkonzentriert. Hätte ich mir doch nur ein Kleinigkeit zu Essen mitgenommen, gleicher Kardinalfehler wie schon damals auf dem Teide. Wenigstens einen Müsliriegel aus dem Supermarkt. So bin ich total entkräftet und habe echt Mühe an Alberto und Montse dranzubleiben. „Jetzt bloß keinen Fahrfehler machen und die Klippen hinabstürzen!!“. Ich reiße mich zusammen und versuche mich so gut es geht auf die Straße zu konzentrieren.

Daheim bei Alberto und Montse angekommen gibt es eine leckeres Essen im Garten der beiden. Sie leben zu einem großen Teil von dem was sie in ihrem Garten und einigen Feldern in der Nähe anpflanzen. Alberto ist 58 Jahre alt, hat in Barcelona als Computerfachmann gearbeitet und ist dann vor etwa 16 Jahren mit seiner Frau Montse nach El Hierro ausgewandert. Sie leben so sparsam wie es geht, so kommen sie mit etwa 13.000 Euro ein ganzes Jahr lang aus. Während meiner Reise reicht dieses Geld nur für einige wenige Wochen. Als er mir seinen Lebensentwurf erklärt, komme ins Grübeln. Er fragt mich wie ich mir meine Zukunft vorstelle.

Ich sage halb ernst gemeint: „I have two plans! Plan A: Keep on working during the next 10 or 15 years, earn a lot of money and try to get old with that. Plan B: Die young!!“

Alberto grinst: „I would prefer Plan A or maybe my Plan C: Reduce expenses to a minimum!“

Während wir uns unterhalten, macht Alberto ein richtiges Feuer, auf dem wir später zwei dicke Steaks vom örtlichen Metzger grillen wollen. Dieser verarbeitet nur Kühe die auf El Hierro gelebt haben. Die Qualität ist beeindruckend und es ist cool mal ein Steak zu essen, dass auf einem richtigen Lagerfeuer zubereitet wurde. Dazu gibt es Papas Fritas (Pommes Frites) die Alberto kurz zuvor aus frischen Kartoffeln selbst zubereitet hat. Er hat sie geschält, kleingeschnitten und dann in einer Pfanne mit sehr hohem Rand in wirklich viel Olivenöl auf dem Gasherd frittiert. Das Ergebnis ist überraschend, sie schmecken ganz anders als in einer Deutschen Frittenbude, aber wirklich gut! Nach dem Steak gibt es noch ein Stück Ziegenkäse und Yoghurt mit Honig, alles auf El Hierro hergestellt! Zum Käse gibt es ein kleines Brötchen, das hat Alberto ebenfalls selbst gebacken. Sein „Plan C“ gefällt mir mit jedem Bissen besser. Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken all eine Kameras zu verkaufen, Autos, Motorräder und Wohnung ebenfalls aufzugeben und einfach mit dem erwirtschafteten Geld auf El Hierro alt werden…

Allerdings ist Plan C mit deutlich mehr Aufwand verbunden als man es zunächst annehmen könnte. Zwar arbeiten Alberto und Montse nicht mehr in irgendeinem Büro oder einer Fabrik, aber die Beine können sie deshalb trotzdem nicht hochlegen. Ihre Tage bestehen häufig daraus im Garten und auf den Feldern zu arbeiten, Gemüse anzupflanzen und mehrmals pro Woche angeln zu gehen. Weil Montse weniger gern Rindfleisch isst, gibt es für sie heute einen Fisch, den sie gestern selbst gefangen hat. Dazu ein wenig Kichererbsen-Gemüse und Kartoffeln. Es sieht lecker aus und während ich mein Steak esse weiß ich nicht genau was mir lieber wäre.

Auf meinem Heimweg geht mir Albertos „Plan C“ immer wieder durch den Kopf. Sobald ich einen alten Mann auf einer Bank vor seinem Haus sitzen sehe frage ich mich, welchen Lebensplan er wohl haben mag, A, B oder C?

Als ich kurz vor dem Hotel aus dem langen Tunnel komme geht vor mir ganz malerisch die Sonne unter. Beim Wegweiser der den Weg zum „Punta Grande“ weist, biege ich instinktiv rechts ab und habe schon einige wenige Minuten später meine Fuji X-T1 und das XF 18-55mm sowie das XF 10-24mm startklar. Etwa 30 Minuten lang gebe ich alles und fahre danach ganz gemütlich zu meinem Appartement zurück.

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Und wieder geht ein Tag zu Ende der mir so richtig gut gefallen hat. Inzwischen bin ich sehr weit weg von meinem lang laufenden Projekt in Mainz. Ich habe längst nicht alles vergessen, mir gehen schon eine Weile keine Codezeilen mehr im Kopf herum. Ich denke nicht mehr daran wie man dieses oder jenes Programmierproblem geschickt lösen kann. Meine Reise ist einfach grandios und es war die beste Idee meines Lebens mal ein paar Monate so richtig auszuspannen.

Meine Versuche von hier aus meine Freundin Sandra in Deutschland zu erreichen scheitern leider. Das WLAN ist irgendwie ausgefallen. Als es wieder funktioniert ist es schon fast Mitternacht. Dann muss ich ihr am Morgen einen schönen Tag wünschen und hoffe, dass sie heute auch ohne eine Nachricht von mir einschlafen konnte. Liebe Sandra, Dir würde es hier auch wirklich gut gefallen 🙂

4 Kommentare zu “Tag 74 – Zu Besuch beim El Sabinar

  1. Anas

    Hi Ansgar.

    Ich denke dass jeder mindestens ein mal laut darüber nachgedacht hat auszusteigen.
    Das Hamsterrad das wir alle kennen ist ja nichts was man ernsthaft einen Plan oder erstrebenswerte Lage nennen kann. Daher ist es um so wichtiger genau das zu tun was du gerade machst. Alles hat meist irgend wie gute und schlechte Seiten, und deine Reise … ich denke du kennst die Vorzüge allein schon die Möglichkeit zu haben in den Tag zu leben wenn man es will.

    Beste Grüße,
    Anas.

    • Lieber Anastasios, eigentlich hat erst Du mich auf die Idee gebracht dies zu tun 🙂

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