Tag 114 – In den Highlands von Gran Canaria

Es ist Dienstag der 27. Oktober und heute soll mein Motorrad bei BMW Marmotor in Las Palmas zur Abholung bereit sein. Nach dem Frühstück bekomme ich eine E-Mail von Ana, mein Motorrad ist soweit fertig. Bevor es losgeht statten wir unserem Motorradvermieter BM-Bikes noch einen kurzen Besuch ab. Am Tag zuvor haben wir eine Schraube am Kupplungshebel verloren. Kurz bevor der gesamte Hebel lose in der Gegend herum baumelt und das Motorrad nicht mehr zu fahren ist, hat Sandra eaber noch bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Nun wird die Schraube mit einer Mutter gesichert und noch schnell der Ölstand überprüft. Es ist soweit alles ok, wir können auch Las Palmas durchstarten.

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Zu zweit geht es auf der kleinen Honda NC700X über die Autobahn nach Las Palmas. Ich drehe mal etwas am Gashahn, ich will wissen was mit diesem kleinen Motorrad so geht. Und es ist ernüchternd, es geht nicht viel. Sobald die Autobahn eine leichte Steigung macht und wir unter 100 km/h fallen ist eine Beschleunigung im 6. Gang kaum machbar. Dreht man den Gashahn auf, so beginnt der kleine Motor zu rappeln und zu stampfen als wolle er gern beschleunigen, aber es kommt praktisch nichts. Das Aggregat fühlt sich jetzt an wie ein Vierzylinder mit Zündaussetzern, es macht keinen Spaß. Schaltet man in den 5. oder gar 4. Gang zurück, so kann man die Fuhre doch etwas in Fahrt bringen. Aber dazu sind Drehzahlen zwischen 4.000 und 5.000 U/Min notwendig. Wenn man einen großen Motor mit viel Drehmoment wie bei meiner K1200 gewohnt ist, kommt man sich auf der NC700X mit zwei Personen vor wie auf einer lahmen Ente.

Das Motorrad hat eine kleine Verkleidungsscheibe. Diese reduziert den Winddruck auf meinem Oberkörper sehr effizient, erzeugt aber sehr starke Wirbel so dass es ab ca. 80 km/h für mich auf diesem Motorrad unangenehm laut wird. Aus diesem Grund habe ich heute auch wieder Ohrenstöpsel in meine Ohren gefummelt, so ist der Geräuschpegel relativ erträglich.

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Auf freier Strecke sind zu zweit locker 140 km/h drin, man kann also ganz gut im fließenden Verkehr mithalten. Der Hersteller gibt dieses Motorrad mit 168 km/h an. Ohne Beifahrer halte ich das für realistisch. Allerdings darf man nirgendwo auf Gran Canaria schneller als 120 km/h schnell fahren. Wer sich an die Regeln hält, ist mit diesem Motorrad also ausreichend stark motorisiert.

Als wir bei BMW ankommen steht mein Motorrad schon abfahrbereit vor der Werkstatt. Gleich daneben steht eine sehr schöne fast neue BMW R1200 RT. Sie hat beim letzten Unwetter allerdings schwer gelitten. Es sieht aus als sei sie umgekippt und hätte schräg im Schlamm gelegen. Räder, Kardan, Bremsen, alles ist mit einer dicken Schlammkruste überzogen. Auch das Cockpit und die Lautsprecher hat es übel erwischt. Der Eigentümer sieht mehr als unglücklich aus. Diese Reparatur wird sicher nicht ganz preiswert ausfallen.

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Um die Ecke stehen einige Autos die es ebenfalls übel erwischt hat. Ein eigentlich wunderschöner BMW SUV steht mit geöffneter Motorhaube und geöffneten Türen in der Sonne. Ich werfe mal einen Blick in den Innenraum, es ist ein Trauerspiel. Der Schlamm hat in diesem Auto bis zum Armaturenbrett gestanden. Die schönen Ledersitze, einfach alles ist mit braunem Schlamm überzogen. Und dieses Auto ist nicht das Einzige das hier steht und auf eine Reparatur hofft. Ob man Fahrzeuge denen das Unwetter so übel zugesetzt hat wieder vollständig herstellen kann, ich habe meine Zweifel.

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Nachdem ich mich ein wenig umgeschaut habe ist Ana auch schon bereit. In ihrem Büro hat sie schlechte Nachrichten für mich. Die Monteure haben den hinteren Stoßdämpfer ausgebaut und näher untersucht. Er ist Teil des komplizierten ESA-Fahrwerks und hat die teilweise extrem üblen Strecken der letzten 14.000 Kilometer nicht verkraftet. Das Ding ist hin und Ersatz gibt es nur in Madrid. Die Lieferung wird 4-6 Wochen dauern, vielleicht auch länger. Auch der Preis ist exorbitant, dieses Ersatzteil soll satte 2.270,- Euro kosten. Ich muss schlucken, alles was ich befürchtet habe, bewahrheitet sich in diesem Augenblick. Gemeinsam überlegen wir wie eine Reparatur funktionieren könnte. Ich bin noch eine Weile auf den Kanaren und will 6 Tage auf Fuerteventura und etwa 10 bis 14 Tage auf Lanzarote bleiben. Von Lanzarote könnte ich wieder herkommen, doch ob das Ersatzteil dann bereitsteht kann niemand garantieren.

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Ich kann mit dem Motorrad noch fahren, allerdings sollte für längere Strecken mit schwerem Gepäck das Fahrwerk vollständig funktionieren. Wie soll das nur gehen? Eigentlich hatte ich geplant meine BMW während des Winters bei Dennis auf Teneriffa unterzustellen. Er hat eine große Werkstatt und könnte auch die kleinen Unfallschäden beseitigen, die sich mein Motorrad bei meinem kleinen „Umfall“ auf Teneriffa im September zugezogen hat. Alternativ könnte ich sie ggfs. auch hier bei Marmotor überwintern und vollständig reparieren lassen. Aber Ana kann mir diesbezüglich keine Zusage machen. Weil auf den Kanaren immer Saison ist und man hier selbst an Weinachten bei 30°C Motorrad fahren kann, ist es vollkommen unüblich ein Motorrad bei einem Händler auf den Kanaren überwintern zu lassen. In Deutschland bieten viele Händler diesen Service an, kein Wunder angesichts des fiesen Winterwetters. Aber hier müsste Ana erst mit dem Chef ihres Chefs ihres Chefs klären ob ich mein Motorrad für 3-4 Monate hier unterstellen kann.

Mich stimmt das alles nicht gerade fröhlich und mit etwas gedrückter Stimmung nehme ich die Schlüssel meiner BMW entgegen. Am Freitag werden wir uns wiedersehen, dann soll der linke Griff bereit für die Montage sein. Ich soll ca. 60 Minuten für diese Reparatur einplanen.

Als wir schließlich vom Hof fahren ist es schon 13h. In mein TomTom Urban Rider habe ich Puerto de las Nieves als Ziel eingegeben. Dort bin ich in der letzten Woche mit der FRED.OLSEN Schnellfähre angekommen. Bereits von meinem ersten Besuch vor vielen Jahren habe ich diesen Ort als wirklich malerisch in Erinnerung. Die Straße nach Westen führt direkt am Meer entlang und es macht Spaß hier entlang zu fahren.

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Allerdings fühlt sich meine BMW ganz anders an als vor den Servicearbeiten. Die Lenkung ist irgendwie „zäh“. Ich habe das Gefühl als würde ich in einer einzigen langen Spurrille fahren. Ich checke via Bordcomputer den Reifendruck. Es werden 2,5 und 2,7 Bar angezeigt, eigentlich ist das ganz ok. Doch woher kommt dieses auffällig andere Fahrverhalten? Bei engeren Kurven kommt es mir vor als wäre der Lenkungsdämpfer strammer eingestellt, es ist seltsam. Vor vielen Jahren hatte ich mal eine alte BMW R80 RT. Damals war ich notorisch klamm und habe alle Wartungsarbeiten auf der Straße vor meiner Wohnung in der Bonner Altstadt selbst ausgeführt. Auf dem fiesen Kopfsteinpflaster in der Bonner Altstadt hat meine BMW immer ganz schrecklich geklappert. Damals dachte ich das Lenkkopflager sei zu locker und habe es in meiner Unwissenheit gnadenlos festgezogen. Danach war das Fahrverhalten genauso „beschissen“ wie jetzt bei meiner K1200. Später hat mir Meister Groß von der BMW Motorradwerkstatt in Bonn erklärt, dass in den Gabelrohren meiner BMW „Düsenlager“ sind und dass diese ausgeschlagen seien. Man könnte sie wechseln, aber man könnte auch mit dem Geklappere leben, es sei nicht weiter schlimm. Die Schraube am Lenkkopflager hat er wieder gelöst, danach war das Fahrerhalten wieder ok und das Rappeln in der Gabel hat mich noch einige Jahre lang gestört.

Heute muss ich wieder an diese Erfahrung denken. Das ESA-Fahrwerk meiner 7 Jahre alten K1200 ist defekt und die Monteure waren auf der Suche nach der Ursache. Ich habe gesehen wie sie das hintere Federbein ausgebaut hatten um es zu kontrollieren. Ich frage mich, ob sie vielleicht auch das vordere Federbein ausgebaut und beim Zusammenbau einen Fehler gemacht haben könnten? Vielleicht haben sie so wie ich damals eine Schraube mit deutlich zu viel Drehmoment angezogen? Aber es ist alles nur Spekulation, doch das seltsam neue Fahrverhalten nervt.

Im Hafen angekommen finden wir schnell ein schön gelegenes Restaurant mit Blick auf das Meer. Wir bestellen uns heute beide die Seezunge, ich mit Pommes Frites, Sandra mit kanarischen Schrumpelkartoffeln. Während wir es uns schmecken lassen trifft die FRED.OLSEN Fähre ein. Es ist eine echtes Schauspiel und dieses Monstrum sieht ein wenig aus als käme es direkt aus Hollywood herangefahren.

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Später machen wir uns auf den Weg nach Maspalomas. Die Sonne scheint bei 30°C und ich gebe in mein TomTom ein, dass es uns auf einer kurvenreichen Strecke nach Maspalomas fahren soll. Das TomTom wählt die GC-220 aus. Es soll quer über die Insel vorbei am Roque Nublo in den Süden gehen. Es sieht aus als könnte das wirklich Spaß machen.

Die Straße ist recht gutausgebaut und langsam aber unaufhörlich schrauben wir uns von Kurve zu Kurve hinauf in die Berge. Nach etwa 20 Kilometern sind wir nur noch im dichten Nebel unterwegs, es ist kalt, mein Bordcomputer zeigt ganze 16°C an. Meine Heizgriffe mag ich nicht einschalten, links ist eh kaputt und bevor die rechte Seite auch noch durchbrennt… Sandra ist vor mir, sie hat keine Heizgriffe und nur ganz dünne Sommerhandschuhe an den Händen. Es kommt mir vor als könnte ich hören wie sie unter ihrem Helm leise vor sich hin schimpft. Der Nebel wird immer dichter und mehrfach kommen uns Autos entgegen die mich erst sehr spät zu erkennen scheinen.

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Immer wieder fahren wir neben steilen Felswänden entlang, auf der anderen Seite könnte eine schöne Aussicht locken, aber die Sichtweite liegt hier deutlich unter 50 Metern. Als es irgendwann etwas aufklart und wir sehen können was um uns herum ist, halte ich an einer Bushalte stelle an. Sandra grummelt, sie ist ziemlich genervt. Die Strecke ist blöd zu fahren, ihr ist kalt, es ist gefährlich und man sieht kaum die Hand vor Augen. „Wie nur kann man auf die total bescheuerte Idee kommen diese Straße zu fahren?“

Während sie sich in einer kleinen Bushaltestelle versucht etwas aufzuwärmen, mache ich mit meiner Fuji X-T1 einige Fotos der Umgebung. Das Wolkenspiel über den schroffen Bergen sieht heute wirklich abenteuerlich aus. Als der Unmut langsam verflogen ist, überlegen wir gemeinsam wie es jetzt weitergehen könnte. Wir beschließen die Straße gleich neben uns zu nehmen, sie scheint hinunter zum Meer zu führen. Würden wir die geplante Route fortsetzen, es lägen wohl noch mehr als 50 Kilometer voller Kurven und Steigungen im dichten Nebel vor uns.

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Kurz nachdem wir losgefahren sind hält meine Sandra am Straßenrand an. Was ist los? „Du hast kein Licht eigeschaltet!“ Bei meiner BMW kann man das Licht nicht ausschalten, sobald der Motor läuft ist es immer eingeschaltet, es sei denn, die Glühlampe ist defekt. Genau das scheint gerade eben passiert zu sein. Nun ist auch klar warum sich einige Autofahrer, die uns im Nebel begegnet sind, so erschrocken haben. Sie haben mich einfach erst sehr spät sehen können weil ich wohl schon seit einer ganzen Weile ohne Licht unterwegs war. Einige wenige Kilometer weiter ist ein Tankstelle am Straßenrand. Während Sandra die kleine Honda auftankt, baue ich die H7 Lampe aus. Der Glühfaden ist durchgebrannt. Die tolle „OSRAM COOL BLUE“ hat ganze 14.000 Kilometer oder besser 4 Monate lang durchgehalten. Zwei Lampen haben zusammen knapp 40 Euro gekostet, das ist ein schwaches Bild. In der Tankstelle finde ich zum Preis von 3,50 Euro eine normale H7 Lampe. Sie ist in einer dieser modernen Plastikverpackungen und egal was ich auch versuche, sie lässt sich nicht öffnen. Ich muss zurück in die Tankstelle, die nette Dame an der Kasse erkennt sofort was mein Problem ist und holt eine Schere hervor. Schnell ist die Lampe eingesetzt. Zwar kann man nicht sehen wo man herumfingert, aber mit etwas Überlegung und Fingerspitzengefühl ist es recht einfach. Kurz den Motor starten, super, ich habe wieder Licht, unsere Fahrt kann weitergehen!

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Letztlich landen wir wieder auf der GC-15 in Richtung Telde die wir bereits am Vortag gefahren sind. Kurz bevor wir das Meer erreichen geht es auf die Autobahn und weiter in Richtung Maspalomas. Bei Tempo 120 fällt mir auf, dass Sandra ständig an ihrer Jacke herum zupft. Mal hinten, mal vorne, weite Strecken fährt lenkt sie nur mit der rechten Hand und scheint irgendetwas mit der linken Hand festzuhalten. Mir ist das nicht ganz geheuer, so überhole ich sie schließlich und fahre bei der nächsten Ausfahrt von der Autobahn ab.

Sandra hat für den Flug die steifen Protektoren aus ihrer Motorradjacke genommen und sie noch nicht wieder eingesetzt. Nun bläht sich die Jacke ungewöhnlich stark auf und drückt ihr ständig auf den Kehlkopf. Wie sie auch zieht und zupft, es macht sie schier wahnsinnig. So fahren wir den Rest des Weges eher gemütlich nach Hause.

Den Rest des Tages verbringen wir auf der kleinen Veranda vor unserem Häuschen und versuchen unsere Vorräte so zu dezimieren, dass wir nach Möglichkeit bei Sandras Abreise alles aufgegessen ist, was wir in den letzten Tagen eingekauft haben.

Ein Kommentar zu “Tag 114 – In den Highlands von Gran Canaria

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